Das erste Mal



An einer kleinen, steilen Sraße lebte ein Mädchen mit seinen Schwestern und seinen Eltern und genoss sein Kinderdasein in einem Haus, das sich einreihte zwischen die anderen Häuser der Straße in denen andere Kinder mit anderen Eltern lebten. Mit diesen Kindern in dem Garten des Hauses und den Wäldern und Wiesen der Umgebung zu spielen war eine große Freude.
Und doch lockten auch andere, verbotene Dinge, die es nur in den Häusern der anderen Kinder gab und von denen die eigenen fernzuhalten den Eltern des Mädchens ein großes Anliegen war. So waren es meist nur kurze Momente des Glücks, in denen man die faszinierende Welt des Fernsehens genießen konnte, bevor unheilverkündend die Türglocke läutete. Was nicht nur die Fernsehfreuden abrupt beendete, sondern auch eine schmerzliche Distanz zu den schier unerschöpflichen Süßigkeitenvorräten unter den Betten der Nachbarskinder schuf. Ein großer Tag war es also an dem ein ganzer Film angesehen werden konnte, ganz ohne die ständige Angst, vorzeitig abgezogen zu werden. Und noch dazu im Kino, was weitaus spannender und aufregender war, als sich vor den Fernseher der Nachbarn zu schleichen.
Endlich bewegte sich also eines Tages ein Auto, darin das Mädchen, seine ältere Schwester und der Vater saßen in Richtung der nächsten großen Stadt und schließlich aufreibend langsam durch den schleppenden Stadtverkehr auf das Kino zu in dem der Film „ Caspar“ gezeigt werden würde. Jetzt nur nicht von den lästigen Autos so lange aufgehalten werden, dass gar noch der Anfang des Films verpasst wird! Dann endlich zum ersten Mal ein Kinosaal von innen: dämmriges Licht und weiche rote Samtsitze. Und – oh Wunder – in der Hand eine Rolle Kaubonbons die den Weg dorthin auf so ungewöhnlich unkomplizierte und ganz legale Weise fand.
Schließlich die Bilder auf der Leinwand.
Ein großes Eisentor, das sich vor einem einfahrenden Auto öffnet, ein großes graues Haus, ein beim Anblick eines Gespenstes laut aufkreischendes Mädchen, eine Fahrt mit einem merkwürdigen, an eine Achterbahn erinnernden Gefährt durch riesige, mit endlos viel Gerümpelvollgestellte Räume und zuguterletzt ein Gespenst, das sich in einen ganz wunderbaren Jungen verwandelt.
Das also waren Film und Tag, die das Mädchen einweihten in die Welt des Kinos und den Satz „Ich war noch nie im Kino“ für immer von seinen Lippen verbannte.

Barbara Skjerbaek





"Mutter, du musst mir mal helfen. Ich kann mich einfach nicht an meinen ersten Film im Kino erinnern."
"Doooch !"
"Doooch?"
"Das musst du doch noch wissen!"
"Nein, eben nicht. Deshalb ruf ich ja an."
"Da haben wir doch Gerhard mitgenommen, den Nachbarjungen."
Gerhard, der mal ein Feuer, das ich legte, mit den blossen Füssen auszutreten versuchte. Ja, an ihn erinnere ich mich. Vor allem an die Brandblasen.
"Und welchen Film haben wir gesehen?"
"Wir waren doch sogar noch Eisessen hinterher !"
"Ja?"
"Und danach hast du doch wochenlang soo schön das Kindermädchen nachgespielt ! Weisst du das etwa wieder alles nicht mehr?"
Gefährliches Terrain, ich hätte es wissen sollen.
"Mutter, das kann ja sein, ich erinnere mich wirklich nicht. Wie hiess denn nun der Film?"
"Na, Mary Poppins haben wir doch gesehen!"

Mary Poppins also...
Das Lied mit dem "Löffelchen voll Zucker gegen bittre Medizin" kommt mir sofort wieder in den Sinn. Bilder zu dem Film oder dem Tag habe ich keine mehr; kein einziges.
Warum auch ausgerechnet der erste Kinofilm. Über den ersten beeindruckenden Film hätte ich besser schreiben können. Von wegen elfengleiche Kindermädchen. "Deutschland Privat" .

Ulrike Reisiger



Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich war ungefähr 13, als der smarte englische Geheimagent des MI6 in mein Leben trat. Ein Kino in Bochum, das damals noch Capitol hiess ehe es in Bofimax umgetauft wurde, zeigte über mehrere Jahre hinweg alle Bondfilme im wöchentlichen Wechsel. Wenn man bedenkt, dass ich von Haus aus mit 12 zum erstenmal ein Kino von innen sehen durfte so grenzte es nahe zu an ein Wunder, dass der zweite Film meines Lebens "In tödlicher Mission" hiess. Der erste hiess "Ben Hur". Er wurde mir von einem Klassenkameraden, der auch Jan hiess und ein guter Freund von mir war, ans Herz gelegt, weil man in diesem Film so tolle wabbelnde Leichen sehen konnte. Was auch immer ich mir darunter wohl vorgestellt haben mag. Ich musste diesen Film sehen. Was ein Kino war wusste ich nicht genau. Auch nicht, was ein Kinofilm war. Fernsehen kannte ich. Ein Fernseher war ein Gerät, das meistens bei fremden Leuten in irgendeinem Raum eingeschlossen wurde, den man erst einmal, erfüllt von Raffinesse, aufbrechen musste ehe man sich eine neue Folge von "Tom Sayer" oder "Raumschiff Enterprise" zu Gemüte führen konnte.
Aber zurück zu Ben Hur. Irgendwo in der Bochumer Innenstadt sollte er gezeigt werden. Das Kino hiess Union. Die Vorstellung begann um 3 Uhr. Mein Vater und ich erreichten das Kino mit einiger Verspätung, sodass der Hauptfilm bereits begonnen hatte. Als ich den Kinosaal betrat, sah ich folgende Szene: Von einem Dach fiel ein Ziegel auf einen römischen Soldaten. Diese Tatsache wurde von den Besatzern aus Rom offensichtlich als eine feindliche Geste gewertet und man nahm Ben Hur fest. Ich kapierte nix. Später lass ich einmal, dass es bei Aufführungen in der Zeit, als der Cinematograh in den Wilden Westen der USA gelangte, zu Schiessereien auf ein weisses Stück aufgespanntes Leinen kam. Das schwer bewaffnete Publikum vertrug es nicht, wenn ihm auf der Leinwand Männer entgegen kamen, die Ihre Colts zückten. Offensichtlich konnten die Zuschauer nicht zwischen Schein und Wirklichkeit unterscheiden. Und so erging es auch mir. Warum waren in dieser Welt, die ich sah, alle so merkwürdig angezogen? Aber man ist ja jung und flexibel und gewöhnt sich an alles. Auch an eine scheinbare Wirklichkeit. Und die wurde von nun an wie ein zweites Zuhause.

Jan Hinrichs



Es war Sommer. Ferien. Unalltägliche Freiheiten. Aushäusig schlafen bei der Tante.
War ich noch im Kindergarten oder gerade in die Schule gekommen? War es Samstag oder Sonntag?
Die Tante hatte einen Sohn, ein paar Jahre älter. Der hatte schon geraucht, konnte aufregende Sachen aus der Erwachsenenwelt erzählen und war auch mehr als einmal im Kino. Und jetzt durfte ich mit. Da hatten erst noch die Erwachsenen Einiges zu besprechen, schlieszlich wurde es erlaubt.
Obwohl in der Stadt, war der Anmarsch ein kleines Abenteuer, denn Peter kannte eine Abkürzung durch die alte Ziegelei. War klar unerlaubt und erlaubte staunende Einblicke in eine Industrieruine. Dann irgendwo durch ein Loch im Zaun und an den Schrebergärten vorbei einen Hügel hinauf und sich dabei möglichst unauffällig bewegen, denn irgendwie war es illegal und anrüchig.
Auch das Kino. Peter führt mich mit der Geste des Eingeweihten in diese neue, etwas verruchte Welt. Jede Menge gröhlende Jugend wie im Kasperletheater. Es wird rumgealbert, mit irgendwas geworfen und manche haben genug Geld für CocaCola oder Limonade. Ich habe meine fünfzig Pfennig fest in der Hand zum Tempel getragen, der von dem ganzen Rummel starke Kratzer am Image hinnehmen musste. Wieso das Kino Schluffen hiesz, wurde mir nie ganz klar, passte aber.
Ein Film lief auch. Irgendwas mit Krieg. Keine Ahnung, worum es geht. Die Bilder bewegen sich, das Publikum geht mit. Es wird höllisch geballert, Dreck spritzt und Leute schreien und ganz schwach erinnere ich einen Mann und eine Frau, die dramatisch, face to face, im Profil und leinwandfüllend abgrundtief bedeutende Worte austauschen.
Irgenwann ist es vorbei. Wieder im Tageslicht löst sich langsam die saloppe Katatonie und in meinem Hirn brodelts. War das Kino? Stolz und Trauer ringen noch eine Weile um die fünfzig Pfennig. Verloren haben alle und die fünfzig Pfennig sind weg. Wieder gehts quer durch die Büsche heimwärts und in die Erwachsenenwelt. Ehrensache, da hat sich der Stolz durchgesetzt: ich war im Kino. Dann prasseln Fragen auf mich ein und ich stehe blöd da: "War es in Schwarzweiss?" Das war ja wohl das Allerletze, da spielen die Groszen wieder mal Kinder verarschen. Schwarzweiss kenn ich vom Scherenschnitt auf der Kirmes. Denken die, im Kino läuft so'n Quatsch? Alles war in bewegten Bildern, mit Schattierungen, jede Menge Grautöne.
Das habe ich mir fürs Leben merken können: auf die Zwischentöne kommts drauf an. Aber heute gibt es ja Farbfilm.

Rolf Reisiger




Ich schätze, ich war ungefähr 5 Jahre alt als ich zum ersten Mal ins Kino ging. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass es mein Vater war, der mich ins Kino mitnahm. Das war ein grosses Ereignis was alles bis dahin erlebte in den Schatten stellte. Ein Ausflug ins Unbekannte. Nur mein Vater und ich. Mutter und Bruder durften nicht mit. Ich fühlte mich ganz besonders bevorzugt.
Sicher bin ich mir nicht, aber vermutlich war es die "Unendliche Geschichte" die wir uns angesehen haben. Obwohl mir der Film ziemliche Angst einflösste, hinterliess er einen starken Eindruck. Es gab Momente in denen es sehr düster wurde. So sind mir die "Steinbeisser" noch lange in lebendiger Erinnerung geblieben. Meine Angst im Kino wurde noch durch die Stimmung im Saal verstärkt: gross, dunkel und viele fremde Gesichter. Ich werde diesen Kinobesuch nicht vergessen. Selbst heute, wenn ich Limahls "Neverending Story" im Radio höre, muss ich an meinen Vater denken.

Agata Chmielewska


Ich war ungefähr sechs Jahre jung und meine beste Freundin Katja und ich durften allein (!!!) ins Kino. Es wurde "Pippi Langstrumpf in Taka-Tuka-Land" gegeben, aufregend. Natürlich stürmten wir, nachdem wir die Eintrittskarten gekauft hatten, den großen Kinosaal, ganz vorne ein weinroter Samtvorhang, geheimnisvoll schwer. Und wunderten uns: Huch? Wieso sitzen die alle so weit hinten? Was ein Glück: da sind ja die besten Plätze noch frei! Ab in die erste Reihe! Da saßen wir zwei nun also gespannt und stolzgeschwellt mitten in der ersten Reihe mit steil in die Höhe gerichtetem Blick.

Der Film war klasse, aber ich hatte anschließend die erste Nackenstarre meines Lebens und etwas dazugelernt: was man subjektiv für "das Beste" hält, muss es objektiv nicht sein.
An die gleißende Helligkeit beim Verlassen des Kinos erinnere ich mich noch: wenn der Tag Dich wieder hat.

Bita Kuhn