Teacup Storm - Ein Essay
Teil 2

Weissenhofsiedlung

Nach Einbruch der Dämmerung, etwa zwei Stunden nach unserer Ankunft, verliessen wir den Birkenkopf wieder, um zur "Weissenhofsiedlung" aufzubrechen. Die Weissenhof Siedlung ist eine vom deutschen Werkbund errichtete Wohnsiedlung, die den damals aufkommenden Bauhaustil in der Praxis veranschaulichen sollte. Viele der namhaften Architekten jenes Baustiles haben hier mitgewirkt. Da wir Esmes Streifzug durch Stuttgarts Architektur auch auf Video festhielten, mieden wir aufgrund von fehlendem Licht die 1927 errichteten Gebäude der Bauhausarchitekten die unser ursprüngliches Ziel waren und gelangten recht bald in die Hinterhöfe der staatlichen Akademie für Bildende Künste, aus deren Werkstätten noch Licht nach aussen drang. Auch Teile dieses Gebäudes verschweigen nicht ihre architektonischen Wurzeln. Es war still, der Wind hatte sich etwas gelegt und Esmes Eindruck, sich in einer Parkanlage zu bewegen, war nicht vollkommen aus der Luft gegriffen. Unverständlich blieb beim tastenden Erkunden nicht nur ihr eine äusserst seltsame Mischung aus Skulptur, Schaukel und Sitzgelegenheit, die auch später in ihren Zeichnungen eine Rolle spielte.


"Anders als bei der Station am Birkenkopf waren meine Vorstellungen der Weissenhofsiedlung klarer und deutlicher, wenn auch weit von der Wirklichkeit entfernt. So war ich mir zum Beispiel sicher, als ich beim Entlanggehen zwischen einer Grundstücksgrenze und einer Strasse auf ein kleines niedriges Auto stiess, dass es sich um ein älteres Modell eines roten Sportwagens handelte. Als der Wind den Klang einer entfernten Kirchenglocke zu mir hinübertrug, baute sich in meinem Kopf das Bild einer barocken Kirche mit einem gepflasterten Vorplatz auf."


"Später war ich überrascht, dass ich mich in einem Viertel der Weisenhofsiedlung aufgehalten habe. Ich war mir bewusst, dass es an diesem Ort besonders dunkel war (es war bereits Nacht), und vielleicht hat auch diese Tatsache meine klareren Vorstellungsbilder ermöglicht. Ich musste mir die Wirklichkeit nicht im Lichte bis an den Horizont ausgedehnt vorstellen. Nachts sind alle Katzen grau."


"Bei einem Laternenpfahl, den ich entdeckte, stellte ich mir vor, dass seine Leuchte ein blass-orange farbenes Licht verbreitete, von dem ich aus irgendwelchen Gründen glaubte, dass es auf eine blass-rosa gestrichene Hauswand fiel. Beim späteren Ansehen der Fotographien war ich überrascht, dass die vorgestellte Farbe in der Tat der Wirklichkeit entsprach, die vorgestellte Laterne jedoch eine Regenrinne war, die an der Hauswand abwärts lief."


"Auch meine Vorstellung der begehbaren Skulptur war weit von der Realität entfernt: trotz ihrer Überdachung, die mir aufgrund ihrer Höhe verborgen blieb, stellte ich mir vor, dass ich in einen Sternenhimmel blicken konnte. Und obwohl die Skulptur symmetrisch war, entdeckte ich nur eine Seite von ihr.
Die klar definierten Grenzen dieses Ortes, durch Gebäude, Straßen und Hecken bestimmt, machten es mir leichter, mich auf dem Gelände zu orientieren und meine jeweilige Position zu bestimmen."

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